Subklinisches Vorhofflimmern (auch SCAF für Subclinical Atrial Fibrillation) ist eine Wortneuschöpfung der letzten Jahre. Sie entspringt dem Bedürfnis, eine Art „Vorhofflimmern light“ zu definieren, das ein geringeres Schlaganfallrisiko mit sich bringen könnte als die bislang untersuchten Formen von Vorhofflimmern (VHF). Dann nämlich wären für das subklinische VHF möglicherweise auch zurückhaltendere Empfehlungen zur Blutverdünnungstherapie angebracht.
Breite Verwendung finden der Begriff und das Akronym SCAF seit Mitte der 2010er-Jahre mit einer bunten Vielfalt an Definitionen (1) und oft als Synonym für die sog. AHRE. (2) In den Leitlinien findet der Begriff noch keine Erwähnung, weder in der 2019 aktualisierten US-Guideline (3) noch in der 2016 veröffentlichten ESC-Guideline (4). Eine halbwegs verbindliche und exakte Definition wird erstmals in einem Scientific Statement der AHA vom Dezember 2019 versucht:
For this scientific statement, SCAF is defined as episodes of asymptomatic AF detected by intracardiac, implantable, or wearable monitors and confirmed by intracardiac electrogram or review of the recorded rhythm on the ECG.(5)
Ich bin sehr gespannt, ob diese Definition ihren Weg in die Leitlinien findet. In meinen Augen ist sie unlogisch und schafft mehr Probleme als sie löst. Doch dazu später mehr …
Warum ein neuer Begriff?
In den letzten Jahren haben wir bei vielen Menschen Vorhofflimmern identifiziert, das zuvor verborgen geblieben wäre. Dafür sind drei voneinander unabhängige Trends verantwortlich:
- Moderne Herzschrittmacher erkennen zuvor verborgene Vorhof-Rhythmusstörungen, sog. AHRE (Atrial High Rate Episodes), die oft eine Vorstufe oder stumme Variante von Vorhofflimmern sind.
- Besonders nach Schlaganfällen wird ein immer ehrgeizigeres Screening auf Vorhofflimmern betrieben.
- SmartEKG-Geräte wie die Apple Watch finden zunehmende Akzeptanz und Verbreitung.
Die neuen Technologien sind besonders dann überlegen, wenn das Vorhofflimmern nur selten oder für kurze Zeit auftritt. Das führt dazu, dass der Anteil an Patienten mit seltenen und/oder kurzen VHF-Episoden im Laufe der Jahre ansteigt. Gleichzeitig aber ergeben sich diverse Hinweise, dass insbesondere die sehr kurzen und sehr seltenen VHF-Episoden nicht das gleiche Schlaganfallrisiko mit sich bringen wie die sehr langen oder gar dauerhaften. (6) (7)
Daraus resultiert die Sorge, man könne mit Kanonen auf Spatzen schießen, wenn die womöglich harmloseren Störungen in gleicher Weise mit blutverdünnenden Medikamenten behandelt werden wie althergebrachtes Vorhofflimmern.
Diskussion
Es ist weiß Gott keine Neuigkeit, dass nicht alle Menschen mit Vorhofflimmern das gleiche Risiko für einen Schlaganfall tragen. Viele Variablen für dieses Risiko (Lebensalter, Bluthochdruck, bereits erlittene Schlaganfälle usw.) kennen wir viele Jahre und haben gelernt, jedem Patienten daraus eine möglichst maßgeschneiderte Therapie zu empfehlen.
Derzeit kristallisiert sich als weitere Variable die Dauer einzelner Flimmerepisoden heraus, möglicherweise auch die Summe aller Episoden (=Flimmerlast). Aus meiner Sicht wäre es jetzt mehr als logisch, entsprechende Studien zu diesem Thema abzuwarten und deren Ergebnisse dann in Form revidierter Leitlinien in das bestehende Therapiekonzept zu integrieren.
Stattdessen werden im Jahrestakt neue Begriffe für angeblich neue Formen von VHF erdacht, die selbst in renommierten Journalen kreuz und quer verwendet werden. Mal synonym, mal nebeneinander, mal eher freihändig und mal mit ersichtlich bemühten Definitionen. An dieser Stelle komme ich dann zur Definition im Scientific Statement der AHA vom Dezember 2019:
Subklinisches Vorhofflimmern ist definiert als Episoden von asymptomatischem VHF, die von intrakardialen, implantierten oder tragbaren Aufzeichnungsgeräten entdeckt und mittels intrakardialem EKG oder Begutachtung des registrierten EKG bestätigt wurden. (Übersetzung von mir)
Der Sinn dieser Definition erschließt sich mir leider gar nicht. Hier wird plötzlich auf die Abwesenheit von Symptomen und die Art des Erstentdecker-Gerätes fokussiert, deren Bedeutung für das Schlaganfallrisiko völlig unklar ist. Andererseits werden Episodendauer bzw. Flimmerlast völlig ignoriert, obgleich gerade deren Bedeutung für dieses Risiko immer deutlicher zu Tage tritt. Sehr abenteuerlicher Versuch, damit ein Kollektiv mit geringerem Schlaganfallrisiko abgrenzen zu wollen! Problematisch an dieser Definition ist außerdem, dass alle mittels traditionellem Langzeit-EKG diagnostizierten asymptomatischen VHF-Patienten hineinfallen. Diese waren aber schon vor Jahrzehnten in den „Klassiker-Studien“ zur Blutverdünnung bei Vorhofflimmern enthalten (paroxysmales VHF hatten ein Drittel der Patienten in SPAF und 18 % in Active W) und die bisherigen Daten sprechen dafür, dass sie auch ein vergleichbares Schlaganfallrisiko haben.
Ausblick
Ich wage an dieser Stelle folgende Prognose (Vorsicht … Glaskugel-Hellseherei!):
Die rasante Verbreitung neuer Diagnoseverfahren für Vorhofflimmern (Herzschrittmacher, implantierte Recorder und vor allem SmartEKG-Geräte) wird unsere Sicht auf die Dinge ein wenig ändern, aber nicht viel.
So ist der Anteil von Patienten mit sehr seltenen und/oder sehr kurzen VHF-Episoden über die Jahre angestiegen und er wird noch weiter steigen. Bei diesen Patienten werden zukünftig zwei Dinge besondere Aufmerksamkeit fordern: Die Flimmerlast und die Zuverlässigkeit der VHF-Diagnose. Die Flimmerlast wird eines Tages entweder in Form eines weiteren Risikofaktors in die Entscheidung zur Antikoagulation eingehen (dann vielleicht als CHADS-VAScB mit zusätzlichem „B“ für burden) oder nur bei Patienten mit einem CHADS-VASc-Score von 1 (Männer) bzw. 2 (Frauen) die Empfehlung beeinflussen.
Die Diagnose-Zuverlässigkeit wird eine immer größere Rolle spielen, weil 1- und 3-Kanal-EKG grundsätzlich schwieriger zu bewerten sind als das „normale“ 12-Kanal-EKG. Insofern wird es immer anspruchsvoller, „Fake-Vorhofflimmern“ und „wahres Vorhofflimmern“ auseinanderzuhalten. Was übrigens schon heute ein m. E. viel zu wenig beachtetes Problem darstellt, siehe verschiedene Berichte von Kardiologen und sogar aus akademischen Lehrkrankenhäusern.